C. Moos: Habsburg post mortem

Cover
Titel
Habsburg post mortem. Betrachtungen zum Weiterleben der Habsburgermonarchie


Autor(en)
Moos, Carlo
Erschienen
Wien 2016: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
414 S.
Preis
€ 39,99
URL
von
Günther Kronenbitter, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Augsburg

Carlo Moos begibt sich in seiner Studie auf die Suche nach Spuren des Weiterlebens der Habsburgermonarchie nach 1918. Dabei geht er zunächst auf ein grundlegendes Problem ein, vor das sich die politischen Repräsentanten Deutschösterreichs im Umfeld der Pariser Friedensverhandlungen gestellt sahen: Wie liess es sich vermeiden, dass die kleine – und bitterarme – Nachkriegsrepublik die Verantwortung für die Kriegspolitik des untergegangenen Imperiums zu tragen hatte? In der Diskussion um das Verhältnis Deutschösterreichs zum Habsburgerreich spielten, angesichts der Ausgangslage wenig überraschend, Argumente für eine strikte Distanzierung von der Monarchie eine wichtige Rolle. Bemerkenswert ist aber auch, dass sich in den Akten des Aussenministeriums genügend Beispiele für ein dezidiert positives Bild des Vielvölkerreichs finden. Wie wichtig die bürokratischen und verfassungspolitischen Kontinuitätslinien zwischen Monarchie und Republik im Österreich der 1920er und 1930er Jahre waren, zeigt Moos im folgenden Kapitel, während der nächste Abschnitt die Gesamtheit der Nachfolgestaaten in den Blick nimmt. Hier geht es ihm um die Politik der Grenzziehung in einer historisch gewachsenen Region, die mit Willkür und Gewalt einherging und bis heute in revisionistischen Tendenzen nachwirkt. Es war die Erfahrung mit dem Gewaltpotential dieser Politik des Ein- und Ausschliessens in den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg, die beispielsweise Joseph Roth und Stefan Zweig dazu brachten, die Habsburgermonarchie als Versuch einer multiethnischen Ordnungsstruktur den Terrorregimen der 1930er Jahren gegenüber zu stellen. Die dadurch zum literarischen Topos geronnene nostalgische Sicht des untergegangenen Imperiums ist Gegenstand des zweiten Hauptteils. Nach einem Kapitel über das einstige Kaiserhaus zwischen Erstem Weltkrieg und Gegenwart, wendet sich Moos den Auseinandersetzungen um das Habsburgergesetz und den relativ wirkungslosen legitimistischen Bestrebungen in Österreich zu. Das umfangreichste Kapitel dieses Hauptabschnitts behandelt Erinnerungskultur und geschichtstouristisches Marketing – ein ergiebiges Thema historischer Reflexion, wie spätestens Valentin Groebner demonstriert hat. Allein mit dieser Dimension des konstruierten Weiterlebens der Habsburgermonarchie hätte sich ein Buch füllen lassen, aber Moos erweitert seinen Untersuchungsgegenstand im dritten Hauptteil noch einmal um «Varianten eines Kultur-Wegs». Hier geht er auf Malerei und Architektur in «Wien um 1900» ein, auf die «literarische Erinnerung» von Franz Grillparzer bis Thomas Bernhard und schliesslich auf das «musikalische Nachleben der Monarchie» von den Gedenkfeiern an bedeutende Komponisten bis zu Arnold Schönbergs Auseinandersetzung mit dem musikalischen Erbe der Habsburgerzeit.

Es ist ein grosser Bogen, den Moos schlägt. Was hält die Studie zusammen? Zunächst einmal, so betont Moos, soll das Buch nicht etwa ein «multikulturelle[s] Kitschbild» (S. 11) der Habsburgermonarchie transportieren. Er macht aber keinen Hehl daraus, dass er «das Verschwinden des Reiches – für einen Schweizer vielleicht ungewöhnlich – immer als ausgesprochen bedauerlich empfand» (S. 10). Zustimmend zitiert er Brigitte Mazohl, die in der Habsburgermonarchie «ein Modell für ein einigermassen friedliches Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher Volksgruppen und Nationen in einem grösseren gemeinsamen politischen Verbund» (zitiert S. 396) sieht. Mit fast schon übergrosser Bescheidenheit, schliesst Moos mit der Hoffnung, «mit meinem Sammelsurium von Betrachtungen und Impressionen unterschiedlichster Art aus den Wiener Archiven, Konzertsälen, Museen und der Nationalbibliothek – wenngleich vielleicht nur ex negativo – eine kleine Illustration zu diesem schönen Urteil geliefert zu haben.» (S. 396) Tatsächlich hinterlässt die Lektüre des Buches den Eindruck, einen Blick auf viele Facetten des Weiterlebens des Habsburgerreichs geworfen zu haben, von konkreten politischen Konfliktlagen des kurzen 20. Jahrhunderts bis zum reichhaltigen hochkulturellen Erbe Wiens im langen 19. Jahrhundert. Eine klare Argumentationslinie zeichnet sich dabei nicht ab, aber es geht Moos ja offenkundig gerade darum, die Vielfalt möglicher Herangehensweisen an das Thema vor Augen zu führen. Es nimmt für den Autor ein, dass er sich zu seinem eher eklektischen Zugriff bekennt und auch nicht verschweigt, dass Zufallsfunde und Bekanntschaften die Quellen- und Literaturauswahl mitbestimmt haben. So offenherzig geschildert wie hier, liest man das kaum jemals (S. 12 f.). Die Auswertung von unpublizierten Qualifikationsschriften, der Blick in einzelne Aktenbestände des Aussenministeriums oder der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit fördert immer wieder interessante Deutungsansätze und Quellen zu Tage, die den Forschungsstand ergänzen. Die häufig herangezogenen Berichte aus der Neuen Zürcher Zeitung über Aspekte des Weiterlebens der Habsburgermonarchie wären auch als Quellen zur gegenwärtigen Geschichtskultur aufschlussreich. So ist die Lektüre durchaus anregend, trotz oder egen der Kollagentechnik des Autors. Allerdings stellt sich die Frage, an welche Leserschaft sich das Buch richtet. Ohne Vorkenntnisse der Politik- und Kulturgeschichte der späten Habsburgermonarchie und der Republik Österreich sind die vielfältigen Aspekte und Anspielungen wohl kaum verständlich. Die entsprechend informierten Leserinnen und Leser werden aber die Passagen über Saint Germain, Kaiser Karls Politik oder die Wiener Secession eher entbehrlich finden. Das sollte sie allerdings nicht von der Lektüre abhalten.

Zitierweise:
Kronenbitter, Günther: Rezension zu: Moos, Carlo: Habsburg post mortem. Betrachtungen zum Weiterleben der Habsburgermonarchie, Wien / Köln / Weimar 2016. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (2), 2021, S. 386-387. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00088>.